Migration und ihre Grenzen

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Migration und ihre Grenzen

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Vielleicht bist du schon einmal migriert, ohne es zu bemerken, weil du dabei keine nationale Grenze überschritten hast. Migration bedeutet nicht zwangsläufig, dass man eine Staatsgrenze überquert. Dennoch wird in Deutschland oft so über Migration gesprochen und geschrieben, als ob es nur um internationale Migration geht.

In diesem Kapitel kannst du verschiedene Formen von Migration erkunden und eine davon genauer betrachten. Außerdem wirst du Debatten über Flucht und Migration hinterfragen und schließlich die Frage diskutieren, ob Grenzen überhaupt reguliert werden sollten.

Was ist eigentlich Migration?

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Migration ist ein facettenreiches Phänomen, das viele Fragen aufwirft. Diese FAQ der Bundeszentrale für politische Bildung beantwortet einige davon. Die Karten bieten eine – wenn auch nicht umfassende – Übersicht über verschiedene Migrationsformen, hauptsächlich basierend auf diesem Glossar.

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https://www.bpb.de/kurz-knapp/...

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Aufgabe

  1. Liste alle Migrationsformen aus dem vorherigen Abschnitt auf, bei denen die Motivation der Migrierenden eine definierende Rolle spielt.
  2. Bildet kleine Gruppen. Vergleicht eure Listen aus Aufgabe 1 und diskutiert, warum ihr bestimmte Formen aufgenommen habt und andere nicht.
  3. Überlegt gemeinsam, ob alle Migrationsmotivationen gleich wichtig sind.
  4. Wählt in Absprache mit eurer Lehrkraft eine der folgenden Aufgaben (A oder B) zur Gruppenarbeit aus. Präsentiert eure Ergebnisse anschließend der ganzen Klasse.

A.

Im Video wird absichtlich nicht von Armutsmigration gesprochen, sondern von trapped populations. In politischen Debatten hört man jedoch manchmal die Begriffe 'Armutsmigration' oder 'Wirtschaftsflüchtling'. Diskutiert, warum manche diese Begriffe verwenden und andere sie vermeiden.

B.

Ist Flucht eine Art der Migration? Oft erfüllt sie die im Video genannten Kriterien. Trotzdem machen viele Wissenschaftler einen Unterschied zwischen freiwilliger Migration und erzwungener Flucht. Bezieht Stellung dazu, ob ihr den Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration als überzeugend empfindet.

Migration und Klimawandel

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Der Klimawandel beeinflusst die Umwelt und damit die Lebensbedingungen der Menschen erheblich. Dadurch wird er immer mehr zu einem entscheidenden Faktor für Migration. Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Migration, die durch den Klimawandel ausgelöst werden (kurz 'Klimamigration'). In der Galerie findest du wichtige Informationen aus diesem Kurzdossier über Migration und Klimawandel. Wenn du tiefer in das Thema eintauchen möchtest, bietet dir das Kurzdossier zu Migration und Klimawandel umfassendere Einblicke.

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Urheber: Martin Seifert

https://de.wikipedia.org/wiki/Hochwasser_in_West-_und_Mitteleuropa_2021#/media/Datei:Hochwasser_in_Altenahr_Altenburg.jpg

Cc0BYSA

Durch den fortschreitenden Klimawandel nehmen extreme Wetterereignisse wie Hurrikane, Dürren oder Starkregen zu. Diese können zu Sturmschäden, Waldbränden oder Überschwemmungen führen, wie es 2021 im deutschen Ahrtal der Fall war. Solche Ereignisse werden als „sudden-onset events“ bezeichnet, also plötzlich auftretende Ereignisse. Dadurch werden betroffene Gebiete (zumindest vorübergehend) unbewohnbar, und die dort lebenden Menschen sind gezwungen, zu migrieren. In diesen Fällen handelt es sich oft um Überlebensmigration.

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Lebensbedingungen können sich durch den Klimawandel auch schleichend verschlechtern, also durch sogenannte „slow-onset events“. Beispiele hierfür sind die zunehmende Knappheit von Trinkwasser, längere und häufigere Hitzewellen, die die Gesundheit bedrohen, oder Veränderungen in den Ökosystemen, die den Betrieb von Fischerei, Forstwirtschaft, Viehzucht und Landwirtschaft erschweren. Dies führt dazu, dass viele Haushalte unter Druck geraten, ihre Existenzgrundlage langfristig zu sichern. Häufig werden dann einige Familienmitglieder in andere Regionen geschickt, um dort Geld zu verdienen und so das Überleben der Familie zu sichern. Ein Beispiel dafür findet sich in der Türkei.

Die Hauptstadt der Malediven, Malé, ist zu sehen. Es ist eine Stadt auf einer kleinen Insel, komplett vom Ozean umgeben.
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Urheber: Shahee Ilyas

Male-total.jpg

Cc4BYNCSA

Auch der durch den Klimawandel verursachte Anstieg des Meeresspiegels erfolgt langsam, bedroht jedoch Küstenregionen und Inseln als Lebensräume. Bei kleinen Inselstaaten wie den Malediven (im Bild die Hauptstadt Malé) geht es sogar um das Überleben des gesamten Staatsgebiets, das allmählich im Indischen Ozean versinkt. In solchen Fällen ist eine langfristige Migration unvermeidlich.

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Dies sind die Erfahrungsberichte von realen Personen (Quelle 1, Quelle 2). Die  Originalberichte wurden übersetzt und von anderen Personen eingesprochen.

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Aufgabe

  1. Ordne die Erfahrungsberichte den beiden Arten von klimawandelbedingter Migration zu: „sudden-onset“ oder „slow-onset“.
  2. Beschreibe die Migrationsformen in den Erfahrungsberichten unter Verwendung der Begriffe aus Element 3.
  3. Analysiere die Erfahrungsberichte hinsichtlich weiterer Migrationsgründe. Überlege dabei, ob die Klimakrise alleiniger Auslöser für die Migration sein kann.
  4. Der anthropogene (menschengemachte) Klimawandel wird hauptsächlich von reichen Industrieländern, einschließlich der meisten europäischen Staaten, verursacht. Diskutiere, ob die EU deshalb eine besondere Verantwortung hat, Klimamigrantinnen und -migranten anders zu behandeln als Flüchtlinge, die vor einem Krieg ohne europäische Beteiligung fliehen. Begründe deine Meinung.
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Lies die völkerrechtliche Definition eines 'Flüchtlings'. Entscheide, ob sie auch auf Menschen zutrifft, die wegen der Folgen des Klimawandels migrieren!

Art. 1 A 2 GFK

Debatten über Flucht und Migration

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Der Umgang mit Migranten und Flüchtlingen wird in vielen europäischen Gesellschaften heftig diskutiert. Das Thema ist politisch sehr aufgeladen und wird oft emotional und polemisch behandelt. Oft werden die Fakten stark vereinfacht, und selbst differenzierte Aussagen sind häufig von einem bestimmten Blickwinkel geprägt, der eine bestimmte Meinung unterstützen soll. Darum soll es jetzt gehen.

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Wie wird über die Aufnahme von Geflüchteten diskutiert?

Der Migrationsforscher Hannes Schammann vergleicht die Debatten in Deutschland von 2015 und 2023

Mit einer gewonnenen Fußballweltmeisterschaft und solider Wirtschaftskraft im Rücken kreisten die Debatten damals vorwiegend um Fragen des Managements. Merkels „Wir schaffen das“ war ein Appell an Effizienz und Ordnung made in Germany. Champions of the World. Dagegen bilden die auslaufende Pandemie, der Krieg in Europa mit der folgenden  Energie- und Wirtschaftskrise und die immer stärker fühlbaren Folgen des Klimawandels einen ganz anderen Hintergrund der aktuellen Fluchtzuwanderung. Schnell wurde aus „Wir schaffen das“ ein banges „Können wir uns das leisten?“. [...]
Anders ist auch: Die Geflüchteten lassen sich nicht auf eine Krise zurückführen. Ob an den Kanaren, in Lampedusa oder an der belarussisch-polnischen Grenze: Menschen überschreiten an vielen Stellen die eigentlich besser gesicherten Grenzen Europas. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Regionen, sind vor sehr unterschiedlichen Krisen auf der Flucht. Und am Horizont: die zu erwartende Klimamigration.

Süddeutsche Zeitung Nr. 260 vom 11./12. November 2023, S. 41.

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Push- und Pull-Faktoren

Zwei überholte Begriffe in der Migrationsdebatte?

Die Theorie der Push- und Pull-Faktoren, die in den 1960er Jahren vom US-amerikanischen Soziologen Everett Lee entwickelt wurde, versucht Migrationsbewegungen zu erklären. Lee unterschied dabei zwischen Push-Faktoren, also negativen Bedingungen im Herkunftsland wie Kriegen, Armut und Umweltkatastrophen, die Menschen zur Auswanderung bewegen, und Pull-Faktoren, also positiven Bedingungen im Zielland wie hohem Lebensstandard und guten Arbeitsplätzen, die Menschen anziehen.

Obwohl diese Begriffe in öffentlichen Diskussionen immer noch verwendet werden, gilt die zugrunde liegende Theorie in der modernen Migrationsforschung als veraltet. Migrationsentscheidungen werden nicht nur von wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst. Kritiker der Theorie argumentieren, dass Push- und Pull-Faktoren die Realität zu stark vereinfachen und andere wichtige Beweggründe vernachlässigen. Letztlich sind es individuelle Entscheidungen, die Migration bestimmen, und diese basieren selten auf nur einem Grund.

Während Einkommen und Lebensstandard bei der Wahl des Ziellandes eine Rolle spielen können, sind bei Flucht oft soziale Netzwerke oder die Sprachkenntnisse entscheidender. Menschen fliehen meist dorthin, wo sie Verbindungen zu Verwandten oder Freunden haben. Diese Motive werden durch die Push- und Pull-Faktoren jedoch nicht vollständig erfasst.

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In öffentlichen Debatten wird über Migration auf ganz unterschiedliche Weisen gesprochen. Man spricht dabei vom Framing, also vom Rahmen, in dem das Thema jeweils gesetzt wird. Oft stehen politische Forderungen oder Interessen hinter der Art, wie ein Thema präsentiert wird. Eine Talkshow-Debatte zum Thema „Klimamigration“ könnte beispielsweise mit den folgenden Eröffnungsstatements beginnen.

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Aufgabe

  1. In den ersten beiden Statements wird von Flucht gesprochen, während dieser Begriff in den anderen beiden Statements vermieden wird. Überlege, warum das so sein könnte.
  2. Beschreibe, wie Migrantinnen und Migranten in den verschiedenen Statements dargestellt werden.

Tipp: Verwende zur Beschreibung ihrer Handlungen die folgenden Adjektivpaare: aktiv/passiv, freiwillig/unfreiwillig, berechtigt/unberechtigt, selbstständig/unselbstständig, gefährlich/ungefährlich.

Sollen Grenzen reguliert werden?

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Debatten über Flucht und Migration können komplex und verworren sein. Es kann hilfreich sein, die grundlegende Frage zu klären und zu diskutieren: Sollten Staaten ihre Grenzen weiterhin regulieren oder sollten wir offene Grenzen für alle Menschen einführen?

Stellen wir uns vor, dass Grenzen nicht mehr reguliert werden und jeder Freizügigkeit genießt. Dann müssten wir nicht mehr im Detail darüber streiten, wer aufgenommen und wer abgewiesen wird. Innerhalb der EU gibt es bereits keine Kontrollen für EU-Bürgerinnen und -Bürger. Ist es also richtig, dass der Staat über den Zutritt entscheidet, oder brauchen wir offene Grenzen? Für beide Positionen gibt es gute Argumente.

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Argumentationskasten 1

Menschen sollen da leben dürfen, wo sie möchten.

Nutzenargument:

Ein zentrales Ziel der Politik ist es, das Wohl möglichst vieler Menschen zu fördern. Menschen, die unter sehr schwierigen Lebensbedingungen leiden, sollten die Möglichkeit haben, in Regionen zu migrieren, wo sich ihre Lebenssituation deutlich verbessert. Auch wenn dies bedeutet, dass sich die Bevölkerung am Zielort etwas einschränken muss, ist es gerechtfertigt, solange dadurch insgesamt mehr Menschen ein besseres Leben haben als ohne Zuwanderung.

Fürsorgeargument:

Die Politik trägt eine besondere Verantwortung für die Schwächsten in der Gesellschaft. Wohlhabende Menschen können oft problemlos an ihren Wunschorten leben. Im Gegensatz dazu hindert Armut viele daran, in bessere Lebensumstände zu migrieren – dies betrifft insbesondere sogenannte „trapped populations“. Um diesen besonders benachteiligten Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, muss ihnen geholfen werden, aus ihrer Armutsfalle zu entkommen. Das kann auch bedeuten, ihnen Migration zu erlauben und aktiv zu unterstützen.

Rechtsargument:

In einem Staat und innerhalb der EU hat jeder grundsätzlich das Recht auf Freizügigkeit und persönliche Entfaltung, solange die geltenden Gesetze eingehalten werden. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, dieses Recht auf Menschen mit bestimmter Staatsangehörigkeit zu beschränken. Jeder Mensch sollte die Freiheit haben, dorthin zu ziehen, wo er möchte

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Argumentationskasten 2

Der Staat soll darüber entscheiden, wen er aufnimmt.

Vereinigungsargument:

Jeder Mensch sollte das Recht haben, sich mit anderen zusammenzuschließen (Assoziationsfreiheit). Daher sollte ein Staat es erlauben, dass Menschen auswandern und sich in einem anderen Staat mit anderen Menschen vereinen dürfen, wenn sie dies möchten. Im Gegenzug sollten Staaten jedoch das Recht haben, selbst zu entscheiden, wer einwandern darf und wer nicht, um ihre eigenen Mitglieder frei wählen zu können.

Kulturargument:

Ein zentrales Ziel der Politik ist es, ein solidarisches Gemeinwesen zu fördern. Dafür ist eine gemeinsame (nationale) Identität notwendig, die oft durch eine gemeinsame Kultur gestärkt wird. Der Staat muss diese Kultur schützen und daher entscheiden können, wer Teil des Gemeinwesens wird und wer nicht.

Infrastrukturargument:

Die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur eines Staates ist flexibel, aber stets auf eine bestimmte Anzahl von Menschen ausgelegt. Der Staat muss sicherstellen, dass die Sozialsysteme nicht überlastet werden, der Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnen, Nahrung und Wasser für alle gesichert ist, ein hohes Maß an Sicherheit besteht und die Wirtschaft stabil bleibt. Um dies besser steuern zu können, muss der Staat regulieren können, wie viele Menschen ins Land kommen dürfen.

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Aufgabe

  1. Lies dir zunächst alle Argumente aus den beiden Kästen durch und erstelle dann eine Argumentationswippe zur Frage, was für eine Regulierung der Grenzen spricht.

    Anleitung: Positioniere jedes Argument aus dem Argumentationskasten 2, das dich überzeugt, auf der „Pro“-Seite deiner Wippe. Argumente aus Kasten 1 landen auf der „Contra“-Seite. Wenn dich ein Argument nur teilweise überzeugt, platziere es näher zur Mitte. Argumente, die dich überhaupt nicht überzeugen, kommen nicht auf die Wippe. Sei bereit, deine Anordnung der Argumente zu erklären, falls du gefragt wirst.
  2. Mache einen Screenshot deiner Wippe und vergleiche ihn mit denen deiner Mitschüler. Diskutiert die Positionierungen der Argumente auf euren Wippen.
  3. Betrachte die Argumente in Kasten 2 noch einmal. Der Autor dieses Moduls behauptet, dass man mit diesen Argumenten auch für mehr Zuwanderung argumentieren kann. Beziehe begründet Stellung zu dieser These. Lass dich dabei von folgenden Stichworten inspirieren: demografischer Wandel, Kultur der Vielfalt, Fachkräftemangel.
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In den bisherigen Diskussionen ist vermutlich der Eindruck entstanden, dass Migration vor allem ein Problem für Einwanderungsländer. Aber ist das wirklich so? Ein Migrationsforscher ist da anderer Ansicht.

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Einwanderungsländer als Profiteure?

Der Migrationsexperte Karl-Heinz Meier-Braun schreibt über die Auswirkungen von Migration

„Für die ärmsten Länder hat die klimabedingte Auswanderung gravierende Auswirkungen. Sie verlieren Arbeitskräfte und das Einkommensgefälle zwischen ihnen und den reichsten Ländern steigt auf rund 25 Prozent [...]. Diese Entwicklung – Verlust vor allem von qualifizierten Arbeitskräften (“brain drain„) bei den Entsendeländern und Gewinn von Arbeitskräften (“brain gain„) bei den Aufnahmeländern – ist seit Langem ein Diskussionsstoff in der Migrationsforschung. Die Einwanderungsländer profitieren seit vielen Jahren von der Zuwanderung und suchen längst schon wieder händeringend nicht nur nach qualifizierten Arbeitskräften. [...] Migration sollte deshalb generell unter diesem Aspekt auch als Chance und Bereicherung gesehen werden und nicht in erster Linie als Bedrohung und Belastung, wie es oftmals der Fall ist.“

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Aufgabe

Tausche dich mit der Person, die neben dir sitzt, aus: Wie wird öffentlich über Flucht und Migration diskutiert. Beurteilt dieses Framing.